Dokumentation TATORT Kurdistan Café 09.01.19 „Verhängte Himmel“

TATORT Kurdistan Café: Die Demokratie in den Autonomiegebieten von Syrien muss verteidigt werden!

Am Mittwoch den 9. Januar fand das monatliche TATORT Kurdistan Café im Centro Sociale in Hamburg statt. Das Thema lauteteVerhängte HimmelVorbereitungen und Widerstand in Rojava/Nordsyrien gegen die türkischen Drohungen“. Das Interesse an diesem Thema war groß, so dass der Saal vollständig gefüllt war.

Gedenken an die Gefallenen

Genau 5 Jahre vorher – am 9. Januar 2013 – sind Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris vom türkischen Geheimdienst ermordet worden. Die Anwesenden gedachten der drei Frauen.

Vor Kurzem war bekannt geworden, dass der deutsche Guerillakämpfer Jakob Riemer am 9. Juli 2018 gefallen ist. Auch seiner wurde gedacht. In einem kurzen Film, der anschließend gezeigt wurde, hat Jakob auf eindrucksvolle Weise geschildert, dass er das Leben in den Bergen auch als einen tiefgehenden persönlichen Befreiungsakt empfunden hat.

Manbij ist der Türkei ein Dorn im Auge

Das Hauptthema des Abends wurde auf die Bedrohung der Stadt Manbij (auch geschrieben als Minbij oder Manbidsch) fokussiert.

Bereits im März 2018, unmittelbar nach der Okkupation von Afrin, hat Erdogan einen Angriff auf Manbij angedroht.

Die Region um Manbij ist der einzige freie Bereich der „Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien“, der westlich des Euphrat liegt. In Form eines Dreiecks ragt er wie ein Stachel in die von der Türkei besetzten Gebiete.

Im August 2016 war die Stadt unter großen Opfern von der Terrorherrschaft des „Islamischen Staats“ befreit worden. Die Bewohner*innen haben getanzt und gesungen, als die Kämpferinnen und Kämpfer der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (QSD) in die Stadt einzogen.

Umgehend haben sie dann damit angefangen, ein System der demokratischen Selbstverwaltung aufzubauen. Die Geschlechter-Gleichwertigkeit und die Vertretung aller Volksgruppen haben dabei eine herausragende Rolle gespielt. Ca. die Hälfte der Einwohner*innen haben einen arabischen Hintergrund, ca. ein Drittel einen kurdischen. Auch Tscherkess*innen, Tschetschen*innen und weitere kleinere Volksgruppen leben in der Stadt.

Bemerkenswert ist, dass auch die ca. 7 Prozent Turkmen*innen fest in die Zivilverwaltung integriert sind. Die Türkei versucht immer wieder, diese Volksgruppe für ihre Angriffe zu instrumentalisieren. Der Verband der Turkmen*innen in Manbij hat sich allerdings entschieden gegen eine Besetzung durch die Türkei ausgesprochen.

Scheinbare „Schutzmacht“ USA

Wiederholt haben hochrangige militärische und zivile Repräsentanten der USA Manbij besucht und einen Schutz der Stadt gegen Angriffe von außen versprochen. Das Beispiel Afrin hat aber gezeigt, dass die USA kein Interesse daran haben, dieses demokratische Autonomie-System zu ernsthaft verteidigen. Im Zweifelsfall steht ihnen ihr strategischer Bündnispartner Türkei näher.

Angriff innerhalb von Tagen“

Am 12. Dezember 2018 hat Erdogan einen Angriff auf Manbij sowie auf Gebiete östlich des Euphrat „innerhalb von wenigen Tagen“ angekündigt.

Bereits am nächsten Tag hat die türkische Luftwaffe mehrere Angriffe durchgeführt – allerdings nicht in Syrien sondern im Irak: Das Autonomie-Gebiet der Eziden sowie das Flüchtlingslager Maxmûr wurden bombardiert, wobei ausschließlich Zivilist*innen ums Leben kamen.

Am 14. Dezember hat Erdogan mit Donald Trump telefoniert und ein gewaltiges Geschäft angebahnt. Er hat Patriot-Raketen im Wert von 3,5 Milliarden Dollar bestellt. Fünf Tage später hat Trump den Abzug der amerikanischen Truppen aus Syrien angekündigt.

Es wurden Videoaufnahmen gezeigt, die belegen, dass inzwischen Panzer-Verbände der türkischen Armee nördlich der syrischen Grenze und vor allem westlich von Manbij aufmarschiert sind. Auch diverse djihadistische Banden – zum Beispiel Ahar al-Sharqiya – sind vor Manbij zusammengezogen worden.

In einem diplomatischen Drahtseilakt hat daraufhin die Autonomie-Verwaltung erreicht, dass Armee-Einheiten des Assad-Regimes in den kleinen Ort Arimah verlegt wurden, der zwischen Manbij und der türkischen Angriffs-Spitze liegt. Auch russische Beobachter sind vor Ort.

Vorbereitung der Verteidigung

Auf zahlreichen Fotoaufnahmen wurden dann die Verteidigungs-Maßnahmen gezeigt. Die Einwohner*innen der drei ebenfalls bedrohten Städte Kobanê, Girê Spî und Serêkaniyê haben an der Grenze zur Türkei Mahnwachen als menschliche Schutzschilde gebildet, die Tag und Nacht durch eine große Anzahl von Personen besetzt sind. In Kobanê wurden darüber hinaus Verteidigungsgräben ausgehoben und Verbindungstunnel gebaut. In Serêkaniyê sind als Sichtschutz gegen Luftangriffe über allen wichtigen Straßen Planen aufgespannt worden.

Internationalist*innen vor Ort

Vor der Veranstaltung sind Interviews mit Internationalist*innen geführt worden, die sich zur Zeit in Dêrik und in Kobanê befinden. In ihren Antworten, die per Video gezeigt wurden, haben sie betont, dass die Bevölkerung auf eindrucksvolle Weise entschlossen ist, ihre Heimat und ihre Freiheit gegen einen möglichen türkischen Angriff zu verteidigen. Dabei haben sie keine Illusionen in irgend eine „Schutzmacht“.

Die wichtigste Forderung der Bevölkerung nach außen ist es, über der bedrohten Region eine Flugverbots-Zone zu bilden. Wir sind aufgerufen, diese Forderung mit aller Kraft zu unterstützen!