Artikel aus ‚Junge Welt‘: „Als »Terrorist« kriminalisiert“

In Hamburg wird dem kurdischen Exilpolitiker Zeki Eroglu der Prozess gemacht. Der Vorwurf: Politiker der Arbeiterpartei PKK zu sein
Von Martin Dolzer

Der Prozess gegen den kurdischen Politiker Zeki Eroglu nach Paragraph 129 b Strafgesetzbuch vor dem Hamburger Oberlandesgericht (OLG) neigt sich dem Ende zu. Dieser Paragraph kriminalisiert eine Vielzahl politischer Organisationen als »terroristische Vereinigung im Ausland«, unter ihnen ist nach wie vor auch die kurdische Arbeiterpartei PKK.

In den letzten Wochen hat die Verteidigung eine Vielzahl von Anträgen gestellt, die – wie auch Erklärungen des Angeklagten – deutlich machen, dass in der Türkei Menschenrechtsverletzungen gegen Kurden an der Tagesordnung sind und die Regierung Erdogan selbst vor regelmäßigen Kriegsverbrechen nicht zurückschreckt. Dennoch werden noch immer zahlreiche kurdische Organisationen kriminalisiert und verfolgt.

Das Bundesjustizministerium hatte 2011 eine »Verfolgungsermächtigung« gegen die PKK als terroristische Vereinigung im Ausland erteilt. Seitdem wurden 14 Kurden als führende Kader der Partei verhaftet. Acht von ihnen sind bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, obwohl ihnen, wie auch Eroglu, keine konkreten Straftaten vorgeworfen werden. Vielmehr wird in ihrem Fall zum »Delikt« erklärt, dass sie sich als Mitglieder der kurdischen Exilcommunity für Frieden einsetzten, Konflikte schlichteten und Demonstrationen organisierten.

Durch eine Aufhebung der Gewaltenteilung werde »Außenpolitik mittels Strafrecht gemacht«, da die Gerichte dem politisch definierten Willen der Bundesregierung folgen, hatten Eroglus Verteidiger Britta Eder und Alexander Kienzle bereits am ersten Prozesstag am 17. Februar erklärt. In den letzten 14 Prozesstagen hatte die Verteidigung eine Vielzahl Anträge gestellt, um die Systematik der jahrzehntelangen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen von Armee und Polizei gegen die Zivilbevölkerung wie auch gegen die PKK-Guerilla zu verdeutlichen.

Dazu wurde auch der Psychologe und international anerkannte Experte für Traumabehandlung Michael Brune gehört, der die Folgen der psychologischen Kriegführung und regelmäßigen Massaker für den Alltag der Menschen in den kurdischen Provinzen der Türkei skizzierte. Auf Antrag wurde auch die Situation in der Stadt Cizre geschildert, wo Augenzeugenberichten zufolge im Frühjahr 2016 mehr als 100 Zivilisten von Soldaten bei lebendigem Leib in Kellern verbrannt wurden. Die Stadt wurde ähnlich wie Sirnak, Nusaybin, die Altstadt von Diyarbakir und weitere Städte im Rahmen von Ausnahmezuständen in großem Ausmaß vom türkischen Militär mit Panzern und Raketen zerstört. Dabei wurden Zivilisten von Scharfschützen erschossen, unter ihnen auch Kinder.

Vergangenen Freitag beantragte die Verteidigung die Ladung eines weiteren Sachverständigen. Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) soll darlegen, dass, angefangen beim Dersim-Massaker 1938, bis heute zu keinem Zeitpunkt weder eine gesellschaftliche noch eine juristische Aufarbeitung der dort geschehenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Türkei stattgefunden hat. Rechtsanwältin Eder betonte, Seuferts Erläuterungen seien als Beweistatsachen wesentlich. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Richter des OLG im Prozess bereits festgestellt hätten, dass in der Türkei bis heute Straflosigkeit herrscht sowie systematisch gefoltert wird.

### Hintergrund: Straflosigkeit ###

Im Prozess vor dem Hamburger Oberlandesgericht wirft die Staatsanwalt Zeki Eroglu vor, von März 2013 bis Ende August 2014 als hauptamtlicher Kader der PKK in Deutschland gewesen zu sein. Eroglu wurde am 6. Juli 2016 zwecks Strafverfolgung von Schweden an Deutschland ausgeliefert. Im Prozess versuchen die Verteidiger, die Richter auf die Tatsache hinzuweisen, dass sich die Kurden in der Türkei in einem jahrzehntelangen Status von Verfolgung und Entrechtung befinden und keine juristische und legale Möglichkeit haben, dagegen vorzugehen. Diese Situation rechtfertige militärischen Widerstand.

Zutreffend auf den Punkt gebracht wird das »Dilemma der Straflosigkeit« in dem Text »Menschenrechtsverbrechen vor Gericht. Zur Aktualität des Nürnberger Prozesses« von Rainer Huhle, herausgegeben vom Nürnberger Menschenrechtszentrum. Dort heißt es: »›Gerechtigkeit ist ein Menschenrecht‹, begann der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, José Ayala Lasso, seine Ansprache vor der Nürnberger Konferenz ›Menschenrechtsverbrechen vor Gericht‹. Ähnlich äußerte sich der Ankläger von Den Haag, Richard Goldstone: ›Gerechtigkeit ist nicht nur eine Frage der Bestrafung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Es ist auch eine Frage der Anerkennung der Leiden der Opfer. Und für die Betroffenen ist das in vielen Fällen ein wesentlicher Bestandteil des Heilungsprozesses.‹ Was hier von zwei offiziellen, an entscheidenden Stellen tätigen Repräsentanten des UN-Systems formuliert wurde, trifft den Kern einer Debatte um das Problem der ›Straflosigkeit‹ von Menschenrechtsverletzungen (…). Der Verdacht, es gehe nicht um Recht, sondern um Rache, ein hartnäckiger Topos im Diskurs derer, die dem Nürnberger Prozess die Legitimität bestritten, wird mehr oder weniger unverblümt bis heute gegenüber den Opfern von Diktaturen in aller Welt geäußert. Wer aber meint, den Verzicht auf Rache mit der Verweigerung des Rechts erreichen zu können, weigert sich, den wirklichen menschheitsgeschichtlichen und rechtshistorischen Zusammenhang von Rache und Recht zu sehen. Die Entwicklung eines differenzierten arbeitsteiligen Rechtssystems trat an die Stelle der Rache, nahm ihr die für beide Beteiligten zerstörerischen Folgen und bot statt dessen eine gesellschaftlich bzw. staatlich sanktionierte Gerechtigkeit an. Wo die Justiz dies jedoch in eklatanter Weise nicht tut, ist die Rückkehr zur Ausübung von Rache nicht nur naheliegend, ihr ist die Legitimität auch schwer abzusprechen. (…) Im Unterschied dazu ist es verheerend, wenn der Staat selbst zum Verfolger wird oder stillschweigend mit Verfolgern wie Todesschwadronen etc. paktiert. Auf welches Recht sollen sich die Rechtsgefühle in einem solchen Unrechtsstaat dann beziehen?«