9. und 10. Prozesstag, 23./24.03.17: ***TKÜ***

Das Telefon klingelt dumpf, im Hintergrund hört man Kinderrufe – das Leben in einem Kulturverein. Dann nimmt jemand auf der anderen Seite ab: „Hallo?“ – „Hallo, wie geht es dir? Geht’s dir gut? …“
Dann geht es mal um die psychologischen Probleme von Leuten, die aus dem Krieg der Türkei in den Städten Nordkurdistans kommen, um die Farben der Blumen für eine Kondolenzfeier oder um die Menge an Fleisch für Fleischspieße beim Newroz-Fest.

Seit mehreren Verhandlungstagen heißt das Schauspiel nun „TKÜ“ – es läuft die Einführung von abgehörten Telefongesprächen der „Telekommunikationsüberwachung“ (TKÜ) ins Verfahren.
Immer dasselbe Schema: erst das Original als Audio zum Mithören, dann die Vorlese-Übung der Laienschauspieler in Richter-Roben.
Es kommen Erinnerungen hoch an das Lesen-Lernen in der 3.Klasse – ähnlich stockend und betonungslos wird über Texte geholpert, die man selbst dabei nicht versteht. Außer wenn es mal um Herpes im Mundraum geht, das scheint der Vorsitzende zu kennen, ein verständnisvolles Lächeln – oder ist es ein Sich-Lustig-Machen?

Es ist ein Schauspiel. Aber das ist reguläre deutsche Bürokratie, wie man sie nicht erst seit 1933 kennt. Soll der Stein vor dem Gericht mit der Aufschrift „1933“ darauf hinweisen, quasi als Grundstein für die Rechtsprechung dort? Denn das Urteil scheint festzustehen: am Ende der so eng gefassten Gasse warten die bekannten 3 Jahre Knast. Ein Verfahren von der Trägheit einer Dampf-Lok in Fahrt, 100 Tonnen und ein einziges Gleis, eine Richtung, bis zum Prellbock.

Dazu im Gegensatz das Lachen des Angeklagten in den Audio-Mitschnitten, die Freude und Leichtigkeit, mit der er anderen Menschen begegnet. Selbst im Gerichtssaal noch, in live, ist viel davon zu spüren, der ständige Blickkontakt mit den Prozessbeobachter*innen, den Anwält*innen oder der Übersetzerin, begleitet von einem Lächeln, und immerwieder das Lachen.
Das übersteht den Knastalltag, für das Danach, allen, die ihn sehen, in Erinnerung und als Motivation, im Kampf für Freiheit und Gleichheit, für Menschlichkeit, den wir überall gemeinsam führen. Bewaffnet oder nicht, und mit Blumen in rot, gelb, grün – und lila auch! Nicht nur am Telefon.